6. Brief

Mein Herr!
Wer hat nicht von David Hume reden hören, cui non notus Hylas? Im Ganzen genommen hat, glaube ich, das achtzehnte Jahrundert, welches in dieser Gattung so fruchtbar war, keinen Religionsfeind erzeugt, den man mit diesem vergleichen könnte. Sein eiskaltes Gift ist viel gefährlicher, als die schäumende Wut Voltaires. Wenigstens bezeugt dieser zuweilen seine Achtung für gewisse Grundwahrheiten, und hat gesagt:

Si Dieu n’existait pas, il faudrait Vinventer.
(Wenn Gott nicht wirklich wäre, man müßte Ihn erfinden).

Ich halte ihn deshalb um so sträflicher, doch hier ist der Ort nicht, Ihnen meine Gründe darzulegen. Allein seine Widersprüche, die das Gewissen des Lesers warnen, machen ihn weit weniger gefährlich als Hume, der alle Wahrheiten mit so ruhiger Kaltblütigkeit untergräbt, daß sie der Logik ähnlich sieht. Wir haben ihn oben sagen hören, es sei unmöglich, Gottes Wesen zu rechtfertigen; er setzt hinzu, daß alle Macht der Philosophie Gott nicht entschuldigen könne, Urheber der Sünde zu sein. Welche dialektischen Mittel hat er nicht angewendet, um alle Begriffe von Freiheit zu verkehren, das heißt, um die Moral in ihrer Grundfeste zu zerstören? Der in dergleichen Betrachtungen geübteste Verstand schwankt manchmal angesichts der Trugschlüsse, welche dieser gefährliche Schriftsteller aufgehäuft hat. Man fühlt, daß Hume Unrecht hat, bevor man noch sagen kann warum. Ist jemals unter den Menschen, die das Evangelium haben predigen hören, ein wahrer Gottesleugner gewesen (was ich nicht zu entscheiden wage), so ist er es. Nie konnte ich seine antireligiösen Schriften ohne eine Art von Schrecken lesen, ohne mich selbst zu fragen, wie es möglich sei, daß ein Mensch, dem zur Erkenntnis der Wahrheit nichts abging, dennoch bis zu diesem Punkte der Entwürdigung herabsinken konnte? Immer schien es mir, daß Hume’s Verstocktheit und seine schamlose Ruhe nichts sein könnten, als die letzte Strafe einer gewissen Empörung des Geistes, welche die
Barmherzigkeit ausschließt und von Gott gestraft wird, indem Er sich zurückzieht.

Da Hume in der Weise, wie wir gesehen haben, von den Grundwahrheiten spricht, so kann man sich denken, daß er sich in Rücksicht auf das Christentum keinen Zwang antun wird, und niemand wird sich wundern, ihn mit einer gewissen versteckten Ironie, die ihm besonders eigen ist,  sagen zu hören: „Laßt uns nach allem dem schließen, daß das Christentum nicht allein bei seinem Entstehen Wunder gekannt hat, sondern daß auch in unsern Tagen kein vernünftiges Wesen ohne Wunder daran glauben kann. Die Vernunft allein ist nicht im Stande, uns seine Wahrheit zu zeigen, und jeder Mensch, den der Glaube bestimmt, es für wahr zu halten, hat das Bewußtsein eines fortdauernden Wunders, welches in ihm vorgeht, und in seinem Geiste alle Grundsätze der gesunden Vernunft umstürzt, indem es ihn bestimmt zu glauben, was der Gewohnheit und Erfahrung am meisten widerstrebt.“[1] Dennoch hat dieser Mensch im Schöße des Wohlstands und aller Auszeichnungen, die dem Talent angedeihen, ruhig gelebt. Das beweiset schon, daß in England, wie anderwärts, die Spinngewebe (wenigstens in dieser Gattung) nur die kleinen Fliegen fangen. Doch dabei blieb es nicht. Die Ehrenbezeigungen, die man zu Hume’s Andenken bewilligte, übertrafen alle diejenigen, die er zu seinen Lebzeiten
erhalten hatte, weil die englischen Gesetzgeber, das heißt, der König und die beiden Kammern, die Zueignung der vor kurzem erschienenen prächtigen Ausgabe von Englands Geschichte feierlich angenommen haben.

Hätten die Gesetzgeber sich geweigert, diese Gabe anzunehmen, und zwar aus dem einzigen Beweggrunde, um das Andenken dieses großen Feindes der Nationalreligion herabzusetzen, sie würden bloß Gerechtigkeit geübt haben. Man hat mehr als einmal die geistliche Macht darüber getadelt, daß sie gewisse Achtserklärungen in odium auctoris (aus Haß gegen den Verfasser) ausgesprochen habe; dennoch werden Sie bei genauer Betrachtung dies Urteil nicht gleich mißbilligen. Es gibt kein Gesetz, dessen vollkommene Billigkeit allgemeiner anerkannt würde, als dasjenige, welches den Schuldigen durch das bestraft, wodurch er gesündigt hat. Wer die Gaben des Genies mißbraucht, soll der Belohnungen desselben entbehren. Würde dies Gesetz gegeben und streng vollzogen, so würden viele Mißbräuche verhütet werden. Es gereicht dem Jahrhundert und einer Nation zur Schande, daß der Verfasser der Jeanne d’Arc dem Verfasser der Zaire den Einzug in die französische Akademie nicht verwehrt, oder ihn nicht daraus vertrieben hat.

Stellen wir uns vor, Hume wäre wegen eines jener Verbrechen, die in England mit dem Tode bestraft werden, zum Tode verurteilt, oder auch nur peinlich angeklagt worden. Wahrlich mehrere solcher Verbrechen, z. B. ein Schafdiebstahl, würden ihn vor den Augen der ewigen Gerechtigkeit weit weniger strafbar gemacht haben, als daß er die heiligsten Lehren der natürlichen und geoffenbarten Religion mit so viel Hartnäckigkeit und
Verruchtheit in seinen Schriften angegriffen hat. Dem ungeachtet zweifle ich keineswegs, daß unter dieser Voraussetzung der König und das Parlament die Widmung eines aus solcher Hand gekommenen Buches würden angenommen haben.

Haben sie also die fragliche Zueignung genehmigt, so geschah es darum, weil sie nicht glaubten, daß Humes Andenken durch alles, was er wider die Religion geschrieben hat, geschändet sei, das heißt ferner noch, daß diese Religion für sie nichts als eine Meinung ist, worüber man ebenso, wie über eine Frage aus der Physik oder Staatswirtschaft, ohne Nutzen oder Schaden ja und nein sagen kann. Wir sind jedoch nicht auf indirekte Folgerungen beschränkt, und ich werde Ihnen einen höchst merkwürdigen Umstand vor Augen führen, der vielleicht gar nicht wahrgenommen ward und Ihnen ohne Zweifel sehr sonderbar vorkommen wird.

Am Anfange der prächtigen Ausgabe von Englands Geschichte, von der ich sprach, liest man eine kurze Lebensbeschreibung Humes, von dem Herausgeber verfaßt, der sich mit vollem Namen nennt und für einen Freund und Bewunderer des Philosophen ausgibt. Er beschreibt vornehmlich das Hinscheiden des Hume mit sonderbarem Gefallen. Er zeigt ihn uns auf seinem Sterbebette in dreister Verstocktheit Gott trotzend, in dessen Hand er
geraten sollte. „Er vertrieb sich die Zeit“, sagt uns der dienstfertige Freund, „durch unterhaltende Bücher. Eines der letzten, welches er las, waren Lucians Gespräche (vielleicht die mit den Buhlerinnen); lachend überlegte er, welche Entschuldigung er bei Charon vorbringen könnte, um des Einsteigens in seinen Nachen überhoben zu sein. Ich habe mich bemüht, sagte er, den Menschen die Augen zu öffnen: lebe ich noch einige Jahre,
so kann ich das Vergnügen haben, den Fall eines der Hauptsysteme des Aberglaubens zu sehen. Nachher führte er den Chaulieu an, und so starb er am 22. August 1776.“

Hierauf ruft der Herausgeber mit Pathos aus:

„So starb unser vortrefflicher Freund!“

Was soll man von einem Menschen sagen, der ein solches Sterben zur öffentlichen Bewunderung darstellt, der sich die Denkungsart des philosophischen Gottesleugners zu eigen macht und kühn seinen Namen nennt? Was soll man von christlichen Gesetzgebern sagen, welche diese Zueignung annehmen und denen es nicht einmal in den Sinn kommt, die geringste Änderung in dieser schändlichen Vorrede zu fordern? Was vorzüglich sagen von den Bischöfen, die im Parlament sitzen, und dieselbe ihrerseits annehmen? Mag man von diesen Bischöfen noch so viel Gutes sagen, es wird das nicht übertreffen, was ich Gutes von ihnen denke; allein wenn ich auch diesen stummen Wächtern keine moralische lügend absprechen will, so werde ich doch rufen wie Zaire:

„Großmütig, gut, gerecht, der Tilgend schönste Lehr‘,
Gott! wären Christen sie, was wären dann sie mehr!“

Ich werde wohl den französischen Gesetzgebern nicht zu nahe treten, wenn ich glaube, daß sie nach einer schrecklichen, im Grunde ganz gottlosen Revolution gewiß eine sehr beträchtliche Anzahl von Männern aufweisen, die dem Christentume feind, und noch mehrere, die in diesem Punkt mehr oder minder gleichgültig sind; dennoch bin ich überzeugt, daß, wenn man sie heute ersuchen würde, die sonderbare Widmung zu genehmigen, welche man jenen in England gemacht hat, die beiden Rammern (ich spreche nicht vom König, noch von der Geistlichkeit, das steht außer Frage) sich beeilen würden, dieselbe als eine grobe Beleidigung abzuweisen, wenigstens so lange, als die schamlose Vorrede nicht verschwunden wäre. Voltaire sagte im Jahre 1766 und wiederholte es zehn Jahre später: „Einige Schulfüchse in Genf glauben noch an die Konsubstantialität; im übrigen ist von Bern bis Genf kein einziger wahrer Anhänger des Christentums mehr zu finden.“[2]

Von England sagt er insbesondere und wiederholte es ebenso: „In London wird Christus laut verspottet werden.“[3] Wollte es jemand übertreiben und behaupten, daß diese scheußliche Prophezeiung in Erfüllung gegangen ist, und daß die Genehmigung der
empörenden Zueignung von sehen der englischen Gesetzgeber, vornehmlich der Bischöfe, eine ausdrückliche Nationalentsagung des christlichen Glaubens bedeutet, so würde er ohne Zweifel Unrecht haben; doch möchte ich wissen, was ihm ein aufrichtiger Engländer antworten würde.

Diese Abschweifung von der Hauptsache schien mir äußerst wichtig zu sein, um Ihnen zu zeigen, daß die englische Nation nicht mehr, ja noch weniger als irgend eine andere berechtigt ist, den Spaniern ihre abscheuliche Inquisition zu verweisen, weil diese Einrichtung sie gegen die abscheulichen Verbrechen geschützt hat, die binnen zwei Jahrhunderten in England begangen worden sind, gegen die abscheulichen Drangsale, die
daraus entstanden, und gegen die noch abscheulichere Vernichtung des Christentums, welches nur noch dem Namen nach in diesem großen Lande vorhanden ist.

Die Ursache, warum ich dieses vor andern gewählt habe, ist, weil es unstreitig unter allen protestantischen Ländern den ersten Rang einnimmt, und obgleich mit mehr Mitteln versehen, um den Glauben zu erhalten, da es die Hierarchie und verschiedene nützliche Formen beibehielt, dennoch zu mehr als vollkommener Gleichgültigkeit gelangt ist, was nicht einmal bewiesen zu werden braucht.

Vergleicht man ferner Spanien mit andern katholischen Ländern, z. B. mit Frankreich, oder dem rechtgläubigen Deutschland, so wird man einsehen, daß es sehr wohl daran getan hat, gegen Neuerer aller Art eine starke Schutzwehr aufzurichten.

Zur Vollendung meines Glaubensbekenntnisses, Herr Graf, werde ich diese Briefe nicht ohne die ausdrückliche Erklärung schließen, daß ich als ein Todfeind aller Übertreibung weit entfernt bin, meiner Sache dadurch zu schaden, daß ich in nichts nachgeben will. Ich habe nur beweisen wollen, daß die Inquisition an sich eine heilsame Einrichtung ist, die Spanien die wichtigsten Dienste geleistet hat und die auf eine lächerliche und
schändliche Art durch den Sekten- und Philosophenfanatismus verleumdet worden ist, aber ich gedenke keinen Mißbrauch zu entschuldigen. Hat die Inquisition zuweilen die Geisteskräfte zu sehr gefesselt, hat sie einige Ungerechtigkeiten begangen, hat sie sich zu argwöhnisch oder zu streng bezeigt (was mir völlig unbekannt ist), so mißbillige ich auf der Stelle alles, was Mißbilligung verdient. Ich würde aber einer Nation nie raten, ihre alten Einrichtungen zu ändern, die allemal auf guten Gründen beruhen und fast nie durch etwas ebenso Gutes ersetzet werden. Nichts geschieht von ungefähr, nichts ohne Ursache. Der Mensch, so zerstört, ist nur ein wildes Kind, das Mitleiden erregt. So oft Sie sehen, daß eine
großartige Institution oder Unternehmung durch Nationen, vorzüglich aber durch die Kirche genehmigt worden ist, als da sind z. B. das Rittertum, die Ordensgeistlichen, die Bettelmönche, die Orden, welche sich dem Unterrichte oder dem beschaulichen Leben widmen, die Missionare, die Ritterorden, Maltheser usw., die allgemeinen Ablässe, die Kreuzzüge, die Missionen, die Inquisition usw., so billigen Sie nur alles ohne zu zögern, und
bald wird die philosophische Untersuchung Ihr Vertrauen durch den vollkommenen Beweis der Verdienste all dieser Einrichtungen belohnen. Ich habe es schon früher gesagt, mein Herr, und es ist eine ausgemachte Sache: Gewalt kann nur mit Gewalt vertrieben werden.

Wären die Nationen klug, sie würden sich nicht mehr kritisieren und ihre Einrichtungen gegenseitig tadeln, gerade als hätten sie sich alle in den nämlichen Umständen befunden, und als hätte nicht diese oder jene Gefahr die eine oder andere Nation zu gewissen Maßregeln bewogen, die Andere entbehren zu können glaubten. Sehen sie nun, was menschlicher Irrtum und Torheit ist! In dem Augenblick, wo die Gefahr vorüber ist, und
die Einrichtungen sich von selbst mit dem Stande der Dinge ins Verhältnis gesetzt haben, führt man alte Begebenheiten an, um diese Einrichtungen umzustürzen; man macht ungereimte Gesetze, um eine Macht zu unterdrücken, die man im Gegenteil durch alle möglichen Mittel verstärken sollte. Man beruft sich auf auto-da-fes aus dem sechzehnten Jahrhundert, um die Inquisition des neunzehnten zu vernichten, die das sanfteste, sowie das weiseste Tribunal geworden ist. Man schreibt gegen die Macht der Päpste; alle Gesetzgeber, alle Tribunale rüsten sich, um sie einzuschränken, und das zu einem Zeitpunkt, wo dem Papste offenbar die zur Erfüllung seiner unermeßlichen Pflichten nötige Autorität nicht mehr bleibt; allein die verbündeten Helden, die so frech gegen eine Macht auftreten, von welcher sie nicht mehr bedrohet werden, hätten ihr einige Jahrhunderte früher die Füße geküßt. In den Epochen, wo die allgemeine Meinung der Kirche Güter zufließen ließ, hat man keine Gesetze gemacht, um diese Erwerbungen zu verbieten oder einzuschränken. Man wird erst in der Mitte des gottlosesten Jahrhunderts daran denken, wenn es keinem Menschen mehr einfällt, Stiftungen zu machen, und alle Souveräne einig zu sein scheinen, die Kirche zu plündern, anstatt sie zu bereichern. So wird die oberste Gewalt von den Neuerern immer hintergangen, und die Nationen stürzen sich in den Abgrund, indem sie eine Verbesserung zu erreichen glauben, obgleich sie nur die persönlichen Interessen dieser verderbten Frevler befriedigen. Halb Europa ändert seine Religion, um einem liederlichen Priester ein Weib, oder verschwenderischen Fürsten Geld zu verschaffen; und dennoch hallt die Welt nur von Mißbräuchen der Kirche, von der
Notwendigkeit einer Reform und von dem reinen Worte Gottes wider. Eben so bringt man gegen die Inquisition herrliche Reden vor, und dennoch verlangen die Fürsprecher der Menschlichkeit, der Freiheit, der Wissenschaft, der Aufklärung für sich und ihre Freunde im Grunde nichts, als die Freiheit, nach Belieben zu handeln und zu schreiben. Leute von Adel, Reiche, vernünftige Leute jeder Klasse, die durch den Umsturz der Ordnung
alles verlieren und nichts gewinnen können, verbinden sich, von den heutigen Zauberern verleitet, mit denen, deren größtes Interesse es ist, die bestehende Ordnung umzustürzen. Sie sind unerklärbarerweise Komplicen einer Verschwörung, die gegen sie selbst gerichtet ist, und fordern mit großem Geschrei für die Schuldigen jene Freiheit, deren diese zu ihrem Zwecke bedürfen. Man wird sie gegen die Strafgesetze wettern hören, die zu ihrem Schutz erlassen sind, sie, die sogar den Schatten jener Verbrechen verabscheuen, welche von diesen Gesetzen bedroht werden. Das ist ein Wahnsinn, wovon man Zeuge sein muß, um ihn zu glauben, und den man dennoch nicht begreift.

Wollen andere Nationen mit der Inquisition nichts zu schaffen haben, so habe ich nichts dagegen einzuwenden: hier kommt es bloß darauf an, die Spanier zu rechtfertigen. Man könnte gleichwohl den Franzosen insbesondere sagen, daß sie sich, ohne die Augen niederzuschlagen, nicht rühmen dürfen, diese Einrichtung abgelehnt zu haben; man könnte allen Völkern ohne Unterschied sagen, daß ein Tribunal, welches eingesetzt ist, um vorzüglich auf die gegen die Sitten und die Nationalreligion gehenden Verbrechen ein wachsames Auge zu haben, zu allen Zeiten und allen Orten eine höchst nützliche Einrichtung sei.

Es bleibt mir noch übrig, über einen Gegenstand zu schreiben, der uns oftmals beschäftigt hat, ich meine die Handlungen der gegenwärtigen Regierung von Spanien. Sie wissen, wie oft wir über diesen Punkt schwankten. Bald waren uns die unbeugsamen Maßregeln dieser Regierung unbegreiflich, und wir gerieten in Versuchung, dieselben, wie es in England geschah, schändlich zu nennen. Bald, wenn wir die natürliche Güte des jetzigen Königs von Spanien, und vor allem seine Popularität betrachteten, waren wir geneigt zu glauben, daß die Nation im eigentlichen Verstände auf seiner Seite sei, und daß er nichts tue, als was er tun müsse. Bei dem Streite beider Meinungen, die einander auf-zuwägen streben, wollen wir zuerst dasjenige betrachten, was gewiß ist.

Im dem berühmten Manifest vom 14. Mai 1814 sagte der König zu seinem Volke: „Wahre und getreue Spanier, Eure Hoffnungen werden nicht getäuscht werden. Euer Souverän will nur für Euch Souverän sein… Ich verabscheue, ich verfluche den Despotismus. Europas Aufklärung kann ihn nicht mehr ertragen, und die Könige von Spanien waren nie Despoten. Obgleich in diesem Lande von Zeit zu Zeit Mißbräuche der Gewalt vorgefallen sind, die keine ordentliche Einrichtung völlig verhüten mag, und um ihnen, so viel als menschliche Klugheit es gestattet, vorzubeugen, das heißt, indem ich die Würde und die Rechte des Königtums, welche es sich selbst verdankt, und jene des Volkes, die nicht weniger unverletzlich sind, bewahre, werde ich mit euren Vertretern von Spanien und Indien mich beraten, und in den gesetzmäßig berufenen Cortes zur Wohlfahrt meiner Untertanen den Grund legen. Die individuelle Freiheit wird auf Gesetzen beruhen, die die Ordnung und allgemeine Ruhe verbürgen werden. Die Presse wird frei sein, in so weit als die gesunde Vernunft es gestattet. Jede Verschwendung der Staatsgüter wird aufhören, und die Ausgaben des königlichen Hauses werden von jenen des Staats getrennt werden: um in Zukunft neue Gesetze zu machen, werden sich die Souveräne mit den Cortes verständigen. Diese Grundsätze werden euch meine königliche Gesinnung zu erkennen geben, indem sie euch lehren, in mir keinen Tyrannen oder Despoten, sondern einen König und Vater zu sehen; usw. usw.“

Am folgenden 13. Junius ward die Universität von Salamanka zur feierlichen Audienz beim König vorgelassen, und brachte seine sämtlichen Versprechen in Betreff des persönlichen und des Grundeigentums, der Freiheit der Presse, der öffentlichen Abgaben, der Wiederherstellung der Ordnung und Einberufung der Cortes in Erinnerung. Ihre Abgeordneten fügten dann hinzu:

„Allergnädigster König! Eure Majestät haben in Höchstdero erstem Dekret versprochen und sogar aus freien Stücken beschworen, daß Sie unserm Elend abhelfen und Ihren Ruhm darin sehen wollen, auf diesen Grundlagen die Regierung einer heldenmütigen Nation zu errichten, die durch unsterbliche Taten die Bewunderung der Welt auf sich gezogen hat, indem sie ihre Ehre und Freiheit bewahrte. Die Universität, welche mehr aus der Ferne die Folgen dieser Grundsätze betrachtet, würde nie endigen, wenn sie alle die Freude und Erkenntlichkeit ausdrücken wollte, die durch diese königlichen Gesinnungen in ihr erregt worden sind… Ew. M. erwähnen jener vergessenen Stellvertretung der Cortes, die aus den Ständen des Klerus und des Adels gebildet wurden, und haben vielleicht noch die Absicht, die ehemaligen Stände wieder herzustellen und ihnen jene Form zu geben, die
von weisen Politikern für die geeignetste ist gehalten worden, um eine gemäßigte und dauerhafte Regierung, in so weit dieses zu hoffen den Menschen gestattet ist, zu bilden und die in gleicher Art unverletzlichen Rechte des Monarchen und seiner Völker auf Jahrhunderte zu befestigen.“

Sehen Sie, Herr Graf, das ist, was der König sagte und was Er sich sagen ließ. Ich zweifle, ob man auf eine überzeugendere Art jemals treu und aufrichtig gehandelt und gesprochen hat. Mir dünkt, es sei unmöglich, gegen die Absicht des Monarchen Verdacht zu haben. Hier endige ich und enthalte mich streng, meine Meinung über zweifelhafte Handlungen zu sagen, die ein Fremder und besonders ein entfernter Fremder nicht berechtigt ist zu beurteilen. Ich danke dem König für das Versprochene, und auf sein Wort vertrauend schließe ich die Augen vor dem, was ich nicht begreife. Was immer daraus entstehen mag, der Mißbrauch der alten Einrichtungen würde nichts wider ihr wirkliches Verdienst beweisen und ich werde allzeit behaupten, daß die Nationen alles zu verlieren haben, wenn sie ihre alten Institutionen stürzen, anstatt sie zu vervollkommnen und zu verbessern.

Mir wird es zum größten Vergnügen gereichen, Herr Graf, wenn ich einige von Ihren Vorurteilen ausgerottet habe; vielleicht leisten Sie mir bald den nämln Dienst. Die Menschen tauschen nur zu oft ihre Verir-rungen aus; ich wünsche nichts sehnlicher, als mit Ihnen den entgegengesetzten Tauschhandel zu treiben. Auf solche Weise wird niemand gekränkt, indem jeder, wenn er fordert oder erhält, was ihm abgeht, sich seinerseits
vorbehält anzubieten, was dem andern abgeht. Die Köpfe gleichen der Erde: non omnis fert omnia tellus.

Moskau, 15./27. September 1815.

Ich bin usw. Philomathe de Civarron.

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[1] Hume’s Essays, Bd. III, T. X: Of miracles.
[2] Brief an Damilaville, 18. 8.1766; an d’Alembert, 28. 9.1763, 8. 2. 1776.
[3] An d’Alembert, 28. 9. 1776; an den König von Preußen, 15. 11. 1773.

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